„Zeig mir, was du kannst.“

Gespräche und Korrespondenzen aus dem Lektoratsprozess des Debütromans Roter Affe von kaśka bryla und ihrer Lektorin Jessica Beer. Der Mailaustausch fand zwischen Dezember 2018 und März 2020 statt, das Gespräch am 2. Februar 2020.


„To Count the Number of Angels” (The Birthday of the World, Ursula K. Le Guin)

Der Versuch, dasjenige zu zählen, was gerade unsichtbar durch den Raum gegangen ist: Erzählen ist immer wieder das – Flügelschlag und Berechnung. Für mich als Leserin gleichermaßen unwiderstehlich.


kaśka bryla
An: Jessica Beer
Wenn Sie schreiben, Sie möchten gerne mehr von mir lesen, sprechen Sie wahrscheinlich ein Romanmanuskript oder -fragment an. Da muss ich Sie derzeit enttäuschen. Das größere Projekt, an dem ich arbeite, ist noch in einem solchen Rohzustand, dass ich nichts davon verschicke. Es würde der Sache meiner Erfahrung nach nicht guttun.

Jessica: Was ich an deiner Replik besonders und interessant fand, war, dass sie einerseits etwas zur Sprache bringt, was wahrscheinlich viele Autor*innen zur Sprache bringen wollen würden, sich aber nicht trauen. Gerade am Anfang. Und wenn sie sprachschulgeschult sind, wissen, dass sie es nicht ansprechen sollen, nämlich diese Fixierung auf den Roman. Weil man immer so tut: Wir sind ganz offen, wir interessieren uns für alles. Aber eigentlich wollen wir natürlich schon einen Roman. Und natürlich möchte ich gerne mehr lesen, aber natürlich freue ich mich, wenn es ein Roman ist.
Ich fand es cool, dass du mir dieses Implizite gleich mal so watz-watz um die Ohren gehauen hast.

Darüber hinaus schreibe ich aber auch Essays. Diese befinden sich auf der Website der Literaturzeitschrift, die ich mitherausgebe (www.politischschreiben.net). Vielleicht interessiert Sie dieses Projekt?

Jessica: Ich mochte auch, dass du gleich auf die PS verwiesen hast. So nach dem Motto: Lies dich da mal ein. Beide lachen Aber auch als eine Art Hintergrundinformation: Wer du bist, wo du herkommst, wo dein Schreiben herkommt. Das war ja dann tatsächlich auch superinteressant für mich.
kaśka: Na ja. Wenn du dich für mich als Autorin interessierst, sollst du dich auch für die PS interessieren. Sonst seh ich nicht, wie du das, was ich mache, interessant finden könntest, außer im Sinne einer Verwertbarkeit auf diesem Markt. Und das allein wiederum interessiert mich nicht.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
Mein Interesse richtet sich nicht nur auf ein Romanmanuskript, sondern ist durchaus so allgemein, wie ich es formuliert habe. Danke daher für den Link zu Politisch Schreiben, da lese ich gerne hinein!

kaśka: Als ich dann gesehen habe, dass du irgendwas davon gelesen hast. Du konntest zumindest ein bisschen ein Feedback geben. Auch, wenn wir darüber hätten streiten können. Es waren Positionen dabei, die nicht meinen Positionen entsprechen. Aber das fand ich cool, weil: Ich fand es ehrlich. Dass du nicht nur schreibst: Voll großartig! Was für ein tolles Projekt. Dann hätte ich mir gedacht …
Jessica: … du mich auch.
kaśka: Genau. Du mich auch.


erstes Treffen – Café Jelinek, Wien, Februar 2019

kaśka: Was schon für mich hineingespielt hat, war, dass du irgendwann gesagt hast, du hast einen jüdischen Background. Auf der Liste, die ich während unseres ersten Treffens vervollständigt habe, die Plus-und-Minus-Liste, war ich gerade dabei, auf der Minusseite den fehlenden Migrationshintergrund zu notieren. Ich habe mir gedacht: Lesbisch ist sie nicht. Besonders feministisch ist sie auch nicht.
Jessica: Und dann hat sie überhaupt keine Minderheitenerfahrung.
kaśka: Wie wird das sein? Sie wird nichts von dem, was ich schreibe, verstehen. Und ich muss mich um so Grundlegendes streiten und nicht einfach nur um den Text.
Jessica: Ich finde das natürlich schwierig, weil ich es nicht gut finde. Es ist weder ein Verdienst noch eine Haltung noch etwas besonders Angenehmes. Warum soll mir das als ein positives Merkmal angerechnet werden? Lieber wäre mir, es würde mir nicht als Merkmal angerechnet. Ich habe nicht so gute Erfahrungen damit. Es ist nichts, was ich frei gewählt habe.
kaśka: Aber es ist eine Perspektive.
Jessica: Es ist eine Perspektive, die ich mir nicht ausgesucht habe und die ich mir sicher nicht aussuchen würde, die ich mir auch nicht aneignen möchte, weil sie eine minoritäre und eine verfolgte Perspektive ist. Deswegen bin ich da immer sehr zwiegespalten, wenn mir das jemand, so wie du jetzt, als etwas Positives auslegt. Etwas, das mich zu etwas qualifiziert.
kaśka: Na ja. „Zu etwas qualifiziert.“
Jessica: Dazu, etwas zu verstehen.
kaśka: Ich höre, was du sagst, und mir sind auch die Unterschiede zu meinem Migrationshintergrund klar. Trotzdem ist es mir wichtig, dass jemand in der Lage ist, eine Minderheitenperspektive zu erkennen, zu sehen und damit achtsam umzugehen. Das muss nicht jemand sein, der auch einen Minderheitenbackground hat. Das geht auch anders. Aber es hilft.


kaśka bryla
An: Jessica Beer
meine schreibzeit hier, mit ausblick auf see und berge, geht bald zu ende, und nächste woche erwartet mich die buchmesse, viel gewusel und anforderungen an soziale kompetenz. noch strengt mich dieser ausblick an.
ich schicke dir eine melodie mit. sie begleitet mich durch den letzten teil meines romanprojektes.

kaśka: Mit dem, dass du geschrieben hattest: „Ich interessiere mich nicht nur für den Roman“, war mir auch klar: Du interessierst dich schon auch für den Roman.
Jessica: Ja, logisch.
kaśka: Und dann habe ich mir gedacht: Okay. Du kriegst ihn. Aber natürlich wollte ich dir das nicht so schreiben.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
meine neugierde auf das ergebnis wächst natürlich damit weiter, aber das soll dich nicht stressen.

Jessica: Mir war klar, dass das mit der PS eine notwendige Bedingung ist, aber nicht unbedingt eine hinreichende. Mir war klar, dass wir weiterarbeiten, wenn wir uns auf dieser Ebene verständigen können, wenn ich mich dafür interessiere, wenn ich das gut finde. Es hätte aber auch sein können, dass du sagst: „Okay, wenn du das alles so siehst, dann möchte ich es dir gerne schicken und möchte gerne wissen, was du dazu denkst.“ Aber das impliziert nicht notwendigerweise den nächsten Schritt, dass du über mich als Leserin hinaus sagst: „Das ist jetzt der Verlag, wo mein Buch erscheint.“ Es gibt die persönliche Ebene der Entscheidung, und es gibt die strukturelle Ebene der Entscheidung.
kaśka: Wenn das jetzt ein total blöder Verlag gewesen wäre, und Yael, die das dann recherchiert hat, gesagt hätte: Also, kaśka, die bringen nur Schrott raus. Willst du wirklich in dieser Linie stehen? Aber dann hat Yael gemeint: Kann man schon machen.


kaśka bryla
An: Jessica Beer
jetzt ist es also soweit. er ist fertig geschrieben, mit der letzten testleserin besprochen, ich schicke ihn dir. irgendwie ist das sehr aufregend, und ich bin neugierig, was du dazu sagst.

Jessica: Ich habe sehr schnell gelesen, weil ich sehr neugierig war.
kaśka: Mir natürlich trotzdem zu langsam.
Jessica: Sowieso.
Beide lachen
kaśka: Ich habe eine Woche gewartet. Dann kam diese E-Mail, in der du zwei Seiten über meinen Roman schreibst. Und ich scroll schon durch die Mail und denke mir: Sagst du mir jetzt eigentlich auf die freundlichste Art, dass du ihn nicht machen willst? Warum braucht denn das so lange?

Jessica Beer
An: kaśka bryla
… und jetzt noch eine für mich wichtige frage: wenn du einfach meine meinung hören wolltest und über den text mit mir reden, dann freue ich mich sehr darüber und tue das leidenschaftlich gerne, auch weiterhin. wenn das gleichzeitig auch ein angebot an mich als residenz-lektorin war, den text bei uns zu veröffentlichen, dann würde ich ihn jetzt gerne an unsere verlegerin zur lektüre weitergeben und mit einem großen, begeisterten JA begleiten.

Jessica: Ich habe dir damit auch eine erste Lesart vorgeschlagen, und du hättest an dem Punkt auch sagen können …
kaśka: „… Danke für das tolle Feedback. Ich werde es entsprechend überarbeiten …“
Jessica: „…war ein tolles Gespräch, aber ich weiß noch nicht, wo ich mit dem Roman hingehen möchte. Ich melde mich wieder.“ Das wäre ja total okay gewesen.
kaśka: Siehst du, und das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Dass ich dir dieses Manuskript nur schicke, um deine Meinung als Lektorin abzugreifen. Für mich ist Lesen in dem Fall Arbeit.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
sehr, sehr gerne würde ich mit dir (als residenz-lektorin) dieses buch machen.


zweites Treffen – Café Sperlhof, Wien, Mai 2019

kaśka: Hier kam dann meine große Verunsicherung.
Jessica: Aber ich habe schon vorher geschrieben: „Wenn das ein Angebot war, dann würde ich jetzt im nächsten Schritt das Manuskript der Verlegerin zum Lesen geben“, die das ja letztlich auch mitentscheidet.
kaśka: Das habe ich aber so nicht gewusst bzw. wissen können. Wie viel Macht du als Programmleiterin hast. Ob du sagen kannst: „Ich will dieses Buch unbedingt“, und dann wird es auch gemacht.
Jessica: Das ist tatsächlich nicht etwas, das ich alleine entscheide und auch nicht ohne die Zustimmung der Verlagsleiterin entscheiden möchte. Wir sind zwar fast immer einer Meinung, aber es ist wichtig, dass wir uns über diese Entscheidungen austauschen.
kaśka: Es ging ja noch weiter. Als nächstes kam von dir: „Na, hast du das nicht noch woanders hingeschickt? Bringt man euch das im Deutschen Literaturinstitut in Leipzig nicht so bei?“
Jessica: Ich weiß ja nicht, wie monogam du bist.
kaśka: Also, wenn wir es auf dieser Ebene betrachten, fand ich unseren Austausch bis dahin sehr romantisch.
Jessica: Ja. Total. Du meinst, ich hätte nach den romantischen Anfängen wissen müssen, dass du, um in der Metapher zu bleiben, anders bist als die anderen.
kaśka: Nein!
Jessica: Doch. Das ist es ja. Weil: Du bist ja nicht meine erste Autorin. Und ich finde, wenn ich Monogamie voraussetze, tue ich uns beiden keinen Gefallen.
kaśka: Aber Ehrlichkeit!
Jessica: Es hätte mich auch nicht verletzt. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich gesagt: „Dann wäre jetzt der Moment, wo du dich entscheiden musst, weil wir sonst hier nicht weiterzureden brauchen. Der nächste Schritt setzt eine Entscheidung deinerseits voraus.“ Ich kenne an diesem Punkt ganz unterschiedliche Antworten: „Ja weißt du, eigentlich habe ich eine Agentur, und du müsstest jetzt eigentlich mit meiner Agentin reden.“ Oder: „Es gibt da noch diesen Lektor, diese Lektorin, bei dem oder der das Manuskript auch liegt. Ich finde dich super, aber …“
kaśka: Für mich wäre der Moment, in dem ich es dir sage, der gewesen, als ich dir das Manuskript geschickt habe. Weil das für mich der Moment gewesen wäre, in dem du dich entscheiden kannst: „Wie schnell lese ich? Wie genau schaue ich mir das an? Wie viel an Emotion investiere ich in dieses Manuskript?“
Jessica: Sehr interessante Frage. Sehr interessanter Punkt. Ich hätte dich das zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht fragen können.
kaśka: Aber in diesem Prozess ist doch klar: Ich hab die Verantwortung, dir zu kommunizieren, was ich tue, und du kommunizierst mir, was du tust, nämlich deine Seite.


drittes Treffen – Café Anzengruber, Wien, Juni 2019

kaśka bryla
An: Jessica Beer
jetzt möchte ich mich mal bedanken: für unsere bisherige zusammenarbeit, wie das alles lief. ich fühle mich wirklich sehr wohl damit.
und zugegeben, ich finde es erleichternd, das mit dem vertrag hinter mir zu haben.
wenn ich das glück habe, in bieszczady ein foto von einem wolf zu machen, schicke ich es dir.

kaśka: Ja, okay. Das war gelogen. Es hat mich total genervt, und ich habe mir gewünscht, ich hätte eine Agentur. So habe ich mir aus allen möglichen anderen Verträgen, die mir Autorinnen gegeben haben, in Kombination mit dem von der IG Autorinnen Autoren, all das herausgearbeitet, was ich in meinem Vertrag drinhaben wollte. Dann habe ich den Vorschuss gesehen und überlegt, wie weit ich den noch pushen kann. Wie ich das mache. Das war für mich superstressig.
Jessica: Das Verhandeln gehört auch nicht zu meinen Lieblingsphasen im Prozess. Ich hasse das auch. Und es ist etwas, wo ich manchmal denke, ich würde jetzt gerne in einem größeren Verlag arbeiten, wo ich das nicht selber machen muss. Ich finde es natürlich sehr sinnvoll, dass es einen Vertrag gibt. Diese Geschichte, die hin und wieder in Kleinstverlagen vorkommt: „Wir sind hier alle so lässig im vertragsfreien Raum“, finde ich nicht cool.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
bist du schon zurück von den wölfen? und hast du welche gesehen?
wegen des vertrags bist du ja jetzt mit meiner kollegin, die für lizenzen und verträge zuständig ist, in kontakt, ich hoffe, da läuft alles glatt – wenn es irgendwelche fragen gibt, gib mir bitte ein zeichen.
ich freue mich so sehr auf unsere zusammenarbeit, das kann ich gar nicht sagen …
und schicke einstweilen die liebsten grüße aus wien, wo es bade- statt bürowetter hat …

Jessica: In einem Verlag unserer Größe ist der Vorschuss kein Auktionsmittel, sondern ein Versuch, realistisch zu agieren. Wie viel wird dieses Buch sicher einspielen? Da gehen wir jetzt kein finanzielles Risiko ein, das wir uns nicht leisten können.
kaśka: Für mich ist aber ein Vorschuss die Möglichkeit so und so viel Zeit …
Jessica: Schreibzeit.
kaśka: Genau. Schreibzeit.
Jessica: Mir ist wichtig zu sagen: Es verbirgt sich dahinter kein Werturteil, kein Qualitätsurteil, es ist eine Bewertung im Hinblick auf einen Markt, auf viele ökonomische Parameter, die mit dem konkreten Text herzlich wenig zu tun haben.
kaśka: Hm. Das hilft mir halt auch nicht, wenn ich dann statt schreiben lohnarbeiten muss.
Jessica: Das wäre jetzt eine lange Diskussion. Vielleicht sag ich nur so viel: Ich hoffe doch, dass das Buch dir durch seinen Erfolg die Schreibzeit bringen wird …
kaśka: Touché.


kaśka bryla
An: Jessica Beer
supermarkt ist ein text, den ich gerne an eine literaturzeitschrift schicken möchte. hast du lust, ihn zu lesen und mir zu verraten, was du dazu denkst?

Jessica Beer
An: kaśka bryla
den supermarkt-text habe ich jetzt gelesen, und will dir gerne dazu schreiben: ich weiß natürlich nicht, warum du dich mit diesen ganzen perspektivwechseln vergnügt hast, erklärst du es mir? aber für die zeitschrift wäre der text eindeutig besser geeignet, wenn du da mehr strukturelle klarheit schaffen würdest … tja, nun habe ich nicht überschwänglich gelobt, sondern nur ein bisschen, aber ich hoffe, die kritik war wenigstens hilfreich?

kaśka: Das Lektorat für den supermarkt-Text wollte ich von dir ja nicht im Hinblick auf etwas, sondern ich wollte sehen, wie du arbeitest. Ich wollte sehen, wie gut bist du denn jetzt als Lektorin? Deshalb habe ich dich um dieses Lektorat gebeten.
Jessica: So: „Zeig mal, was du kannst.“

kaśka bryla
An: Jessica Beer
vorab: vielen dank für das lesen und deine gedanken dazu.
und: ich brauche kein überschwängliches lob. ich habe mir ja eine kluge und begeisterungsfähige lektorin gewünscht, aber keinen fan. fans hab ich schon ;) zum text: …

kaśka: Ja: „Zeig mal, was du kannst. Du hast jetzt gesehen, was ich kann. Ich will jetzt auch sehen, was du kannst.“ Und das war für mich dieses Lektorat. Deshalb habe ich auch geschrieben: „Du brauchst mich hier gar nicht loben. Zeig mir lieber, wie du das Beste aus diesem Text rausholen würdest.“
Jessica: Und? Du warst zufrieden?
kaśka: Offensichtlich.
Jessica: Super. Aber da hattest du schon einen Vertrag.


Jessica Beer
An: kaśka bryla
ich freue mich wirklich sehr über die aufnahme in den ps-beirat und hoffe, ich werde ein nützliches beiratsmitglied sein … zur präsentation im oktober komme ich gerne nach leipzig, ich kann privat wohnen, aber wenn ihr die zugfahrt übernehmt, wäre es fein.

Jessica: Ja, das hat mir schon noch einmal eine zusätzliche Perspektive auf den Text und die Zusammenarbeit gegeben, zu sehen, in welchem Kontext du arbeitest und schreibst. Und natürlich auch die Möglichkeit, in eure Diskussionen eine Verlagsperspektive reinbringen zu können.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
ein paar dinge, die mir noch im kopf rumgehen und womöglich in der arbeitsflut der kommenden woche verschwinden könnten, also noch bevor ich fahre ... wie wollt ihr es im programm platzieren? ... wie funktioniert das mit der pr? ... schickt ihr es irgendwo ein? ... organisiert ihr die release-lesung oder auch andere? ... und – reine neugier – hast du das manuskript ein zweites mal gelesen?

kaśka: Da habe ich gemerkt, ich weiß eigentlich nicht, wie es jetzt weitergeht. Und ich wollte ein bisschen Orientierung auf allen Ebenen, was alle Dinge angeht, die rund um das Buch passieren werden.
Jessica: Für mich ist das auch ein wichtiger Moment, wo es aufhört, ein Prozess zwischen uns beiden zu sein, wo also dieser sehr intime Lektoratsprozess endet. Es ist der Moment, wo die anderen Akteur*innen wichtig werden, wo ich dich an die Kolleg*innen übergebe, du wirst dann im nächsten Halbjahr rein organisatorisch mit Vertrieb, Lesungen, Presse usw. mehr zu tun haben als mit mir. Viele Entscheidungen wie Cover, Vorschautexte, Positionierung treffe ich nicht allein. Dann kommt auch die Vertreter*innenkonferenz. Das ist ein wichtiger Moment, weil es in unsere Überlegungen nochmal eine Perspektive reinbringt, die wir nicht haben und nicht haben können.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
platzierung usw.: wie gesagt, wir machen in jedem programm nur ein debüt (und auch das nicht in jedem), das heißt, dein buch hat einen ganz besonderen platz und bekommt jedenfalls viel aufmerksamkeit. wie die genaue reihenfolge in der vorschau sein wird, ob wir ein leseexemplar machen und ähnliches, kann ich dir jetzt echt noch nicht sagen, da reden auch unserer vertreter und alle kollegen mit. aber ich informier dich über alles! und ja, sicher habe ich dein manuskript zweimal gelesen! das erste mal ganz schnell und begeistert, als ich es bekam, und dann nochmal in der überarbeiteten fassung nach unseren ersten gesprächen! oder meinst du: seitdem nochmal?

kaśka: Wenn wir jetzt zu meinem Buch gehen. Wie würde das dann ausschauen? Wie würdest du das verkaufen?
Jessica: Das kann ich jetzt nicht sagen. Jetzt gibt es erst mal die Coverentwürfe, die werden wir wahrscheinlich gemeinsam mit den anderen im Verlag noch ein bisschen verändern. Dann werden wir einen Vorschautext formulieren, mit dir gemeinsam einen Kompromiss in zehn Zeilen finden: Was muss hinein, weil es sonst verfälscht ist, was darf nicht hinein, weil es ein Spoiler ist, was würde dem Verkauf helfen, wenn es drin stünde usw. Meine Präsentation wird sich sicher sehr stark daran orientieren. Dann wird es Fragen geben und ein Gespräch darüber. Die Vertreter*innen bekommen ja auch schon das lektorierte Manuskript vorab, und darüber werden wir auch diskutieren.
kaśka: Praktisch, dass sich Roter Affe so leicht liest.
Jessica: Sehr hilfreich.


PS#5 Release – Leipzig, Oktober 2019

Jessica Beer
An: kaśka bryla
danke nochmal für die schöne zeit in leipzig, mit der ps und auch abseits der ps … die total eclipse-version, die du geschickt hast, wärmt mich in diesen nebligen tagen. absolut perfekt.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
es freut mich, dass du dich wohl gefühlt hast! und du bist ja auch wirklich ein großer gewinn für dieses netzwerk. für mich sowieso.


kaśka bryla
An: Jessica Beer
wegen des lektorats von roter affe. wie soll denn das physisch aussehen? möchtest du, dass wir dafür in einer stadt sind? zumindest teilweise fände ich das ja nett.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
in der gleichen stadt sein sollten wir auf jeden fall, um zu reden.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
wir könnten ja danach gehen, wer von uns beiden gerade mehr lust zum herumfahren hat, ohne die anderen „verpflichtungen“ dabei hintanstellen zu müssen? was meinst du? – ist das eigentlich total unüblich und nur mir erscheint das logisch? du kannst mir solche sachen schon sagen.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
also „üblich“ gibt’s in diesen fragen nicht, zumindest nicht bei mir. ich finde es völlig richtig, dass wir jeweils schauen, wer von uns beiden gerade mehr lust und raum hat, nach wien oder nach leipzig zu fahren.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
so lässig bist du also ;)


Jessica Beer
An: kaśka bryla
weil ich mich dann bald in deinen text aufmache, nochmal was ganz praktisches: hatten wir lektorat im word-korrekturmodus oder handschriftlich auf papier ausgemacht? ich weiß es einfach nicht mehr. your choice.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
wir hatten gar nichts ausgemacht, sondern du hast mir angekündigt: handschriftlich und dann per post. und zugegeben, ich finde das manchmal ganz angenehm, wenn du einfach der boss bist. wüsste auch nicht, was ich in dem fall bevorzuge. geht wirklich beides.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
oooh, verstehe! na, wenn ich jetzt hier die chefica bin, dann wünsche ich mir die word-version – es ist doch schneller und leichter zu handhaben!


Lektorat – Wien, Januar, 2020

Jessica Beer
An: kaśka bryla
mit ein bisschen verspätung (ich glaube, ich hatte vor weihnachten versprochen …) und einer menge herzklopfen schicke ich dir nun den lektorierten text zurück.

Jessica: Für mich ist das Lektorat ja so etwas wie der Moment der Wahrheit, wo es wirklich ans Eingemachte, also an den Text geht. Ab hier nehme ich mir heraus, in den Text hinein zu schreiben, zu kommentieren, zu streichen, einzugreifen mit Kritik, Vorschlägen, Kürzungen. Für mich ist das wirklich das Spannendste. Es ist der Zeitpunkt, ab dem ich einen Text, den ich vorher zweimal, dreimal, viermal gelesen habe, in einer ganz anderen Weise noch einmal entdecke. Nämlich im Hinblick auf seine Artikulationen, sein Funktionieren. Dann fallen mir Dinge auf, die mir vorher nicht so krass aufgefallen sind. Vorher bin ich eine Leserin. Jetzt bin ich eine Lektorin, die die Dinge nicht hinnimmt, wie sie dastehen, als wäre es ein Buch, sondern wie etwas, wo man noch verbessern, schärfen, lösen usw. kann. Und das ist für mich tatsächlich immer ein Herzklopfen-Moment: Wirst du das annehmen können? Wollen? Wirst du das total unmöglich finden?

kaśka bryla
An: Jessica Beer
zusammenfassend: ich habe eigentlich die meisten vorschläge angenommen. sie waren ja auch sehr überzeugend.

Kaśka: Bis auf deinen Einwand zum letzten Kapitel, wo ich nicht verstanden habe: Warum kommt das erst jetzt? Das ist doch etwas sehr Markantes. Da kann sie doch nicht einfach drübergelesen haben. Das war der einzige von deinen Vorschlägen, wo ich abgewogen habe, ob ich mitgehe oder nicht. Alles davor, auch schon dein allererstes Feedback, hat ja genau meine eigenen Überlegungen reflektiert. Fragestellungen meiner Testleser*innen. Bisher konnten wir – ich und die Testleser*innen – keine Entscheidung treffen. Es gab Stimmen dafür, es gab Stimmen dagegen. Du sagst: „Besser wäre das“, – ok, ich nehme das.

Jessica Beer
An: kaśka bryla
ich freue mich wirklich sehr über dein adjektiv „überzeugend“, das erleichtert mich, weil es ja eben immer eingriffe in bzw. veränderungen an deinem text sind, von denen ich dich gerne überzeugen, die ich dir aber keinesfalls aufdrängen möchte. darauf bezog sich auch dieses herzklopfen: ob mir das gelingt. alles weitere und genauere besprechen wir dann in wien!

Jessica: Das bestätigt mich jetzt in meiner Antwort auf die mir oft gestellte Frage, was Lektorat eigentlich macht. Natürlich gibt es den Bereich der Vorlieben und Meinungen, aber sie sind bis zu einem Punkt objektivierbar, vor allem, was Plot-Entwicklung, Plausibilität, Konsistenz, Überfrachtung, Korrespondenz zwischen Sprache und Figur usw. betrifft – insofern bleiben genaue oder geübte Leser*innen an denselben Dingen hängen. Auch wenn man das dann anders entscheiden kann.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
warum du alle polnischen ausdrücke und auch sätze kursiv gesetzt hast, erschließt sich mir allerdings nicht, nämlich in keinster weise. weshalb ich sie wieder geradegestellt habe.

kaśka: Ich finde immer noch, dass das so eine Frechheit war. Auch wenn es etwas ist, was etabliert ist, was ja sowieso kein Argument ist …
Jessica: … natürlich nicht. Es ist kein Argument für die Richtigkeit, es ist eine Erklärung, warum man etwas tut. Für mich war es ein superinteressanter Lernprozess, weil es etwas war, wo ich überhaupt keinen Standpunkt dahinter hatte, sondern nur eine schiere, unreflektierte Gewohnheit, die ich noch nie überdacht hatte. Aber es ist absolut signifikant dafür, dass es „keinen Standpunkt“ nicht gibt. Eine unreflektierte Handlung spiegelt natürlich auch etwas wider.
kaśka: Es hat mich emotional so getroffen, weil ich das Gefühl hatte, meine Muttersprache wird verbogen und ich verstehe überhaupt nicht, warum. Es wird nicht einmal kommentiert, es wird einfach gemacht.
Jessica: Sicher ein Punkt, auf den ich in Zukunft anders schauen werde als bisher.
kaśka: Zu der Frage, lässt man die Erst- oder Zweitsprache im Text unübersetzt, ist auch am DLL diskutiert worden. Wer wird da dann ausgeschlossen? Ist das okay? Andere verstehen auch nicht immer alles … Ich glaube, dass es etwas ist, wo die zweite Generation nochmal viel sensibler ist. Also die, die schon parallel mit zwei Sprachen aufgewachsen sind und hart daran gearbeitet haben, dass das Deutsche so gut wird. Dass es daher eine Fixierung gibt, auf Sprache und auf jede Form von Othering.


Februar/März 2020 – Leipziger Buchmesse wegen Coronavirus abgesagt

kaśka bryla
An: Jessica Beer
was den vorschautext angeht: ich würde gerne ein zitat raussuchen. du meintest, es bräuchte dann noch einen inhaltlichen pitch. da bin ich nicht gut drin. könntest du dir vorstellen, das zu schreiben?

Jessica Beer
An: kaśka bryla
hier noch der vorschautext-entwurf. länge und struktur ergeben sich aus unserem vorschaulayout, aber sonst sind korrekturen und einwände natürlich willkommen.

kaśka bryla
An: Jessica Beer
was das wort „unwiderstehlich“ im vorschautext angeht, so tut es mir leid, aber da habe ich echt ein veto, ebenso für dessen varianten: hinreißend, herrlich, verführerisch, … weder ich noch der roman sind eine schokoladentorte oder der nackte rücken einer frau! noch möchte ich in die richtung rezipiert werden. hingegen bin ich mit allem einverstanden was in folgende richtung geht: scharfsinnig, klug, intelligent, geistreich, … do i have to explain further?

Jessica Beer
An: kaśka bryla
ich ruf dich an!


Es ist ja mein erster Roman, mein erstes Buch. Alles. Der Umschlag, der Satz, das Papier, die Schriftart. Wenn ich es in den Händen halte, möchte ich denken: Das war richtig und gut. Der Verlag. Deine Lektorin. Was auch immer daraus jetzt wird. Dein eigener Vorschuss ist schon eingespielt.

“The registry of intent upon arrival”
(The Birthday of the World, Ursula K. Le Guin)

 

Lektorat: Carolin Krahl und Eva Schörkhuber

Essay#6PS