PS im Gespräch mit Sabine Scholl

PS: Ich hab mir gedacht, dass wir ein bisschen vor Fiktion anfangen, mit Grundsätzlicherem. Bei Fiktion geht es ja auch darum, eine Alternative zur gängigen Verlagswelt, Verlagspraxis auf die Beine zu stellen.

 Sabine Scholl: Genau.

 PS: Warum, würden Sie sagen, braucht es diese Alternative?

 

Sabine Scholl: Vorangegangen ist dem Ganzen die Erkenntnis, dass es in der Verlagslandschaft in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren mit anspruchsvoller Literatur immer schwieriger wurde …

 

PS: Anspruchsvoller Literatur?

 

Sabine Scholl: Literatur, die keine Trendthemen behandelt und die sprachlich und erzählerisch avanciert arbeitet. Damit wurde es zunehmend schwierig, überhaupt einen Verlag zu finden, beziehungsweise einen, der auch das zweite Buch macht, das heißt bei einem Verlag bleiben zu können. Weil Verlage schneller in Konkurs gehen, weil die Konkurrenz durch die großen Konglomerate heftiger wurde. Und auch – das bestätigen die Agenten, Verleger sagen das nicht gerne öffentlich – dass bei gleich bleibendem Werbeaufwand und Öffentlichkeitsarbeit letztlich von einem sogar gut besprochenen Buch heutzutage weniger Exemplare verkauft werden. Also ein Autor muss relativ viele Preise gewonnen haben und irgendwie anderswo verankert sein – zum Beispiel im Feuilleton der ZEIT schreiben –, damit der Verlag ihn behält.

 

PS: Ja? Lacht.

 

Sabine Scholl: Das hat sich massiv verändert in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren – ich bin jetzt ungefähr zwanzig, fünfundzwanzig Jahre dabei. Die Idee für Fiktion kam vom ehemaligen Verleger Gatza, der im Wagenbach Verlag gelernt hat und nach dem Konkurs des eigenen Verlages in verschiedenen Häusern wie Eichborn, Suhrkamp, Berlin Verlag unterkam. So konnte er beobachten, wie das Verlagswesen sich entwickelte und um wieviel härter es geworden ist.

 

PS: Also jetzt durch die Konkurrenz und durch die Monopolbildung …?

 

Sabine Scholl: Durch die Agglomeration in Konzernen, genau. Und …

 

PS: Kann ich da eine Zwischenfrage stellen?

 

Sabine Scholl: Ja klar, natürlich.

 

PS: Würden Sie sagen, dass die Konkurrenz unter den Verlagen auch die Konkurrenz unter Schreibenden verstärkt hat?

 

Sabine Scholl: Die Konkurrenz unter Schreibenden hat es immer gegeben. Nur dass es jetzt viel mehr Schreibende auf dem Markt gibt.

 

PS: Das heißt?

 

Sabine Scholl: Es ist sehr schwierig – außer man hat wirklich ein gemeinsames ästhetisches Programm –, auf längere Zeit hin zusammenzuarbeiten, gemeinsame Interessen zu vertreten oder ein permanent gut funktionierendes Netzwerk aufzubauen. Das funktioniert immer nur für einen begrenzten Zeitraum.

 

PS: Warum?

 

Sabine Scholl: Wegen der Konkurrenz. Ich würde schon behaupten, dass im Zweifelsfall jeder doch nicht stets für den anderen mitdenkt, sondern auf seinen eigenen Vorteil schaut. Was sich als Gegenbewegung formiert hat, war die Lyrik. Weil dieses Genre als zu wenig verkaufsträchtig marginalisiert wurde, haben die Dichter viel eher begriffen, dass sie gemeinschaftlich eine Gegenöffentlichkeit aufbauen könnten, haben begonnen, sich auf Internetplattformen zu vernetzen.

 

PS: Das würde bedeuten, nachdem diese Unmöglichkeit der Veröffentlichung sich jetzt ausbreitet, wäre da eine potentielle Perspektive.

 

Sabine Scholl: Genau. Es gibt im Netz Tools, um an die Öffentlichkeit zu gelangen. Verschiedene Publikationsplattformen existieren bereits, die vor allem von Autoren genutzt werden, die, wie ein Medientheoretiker sagte, unter dem Radar der Verlage ansonsten durchgeflogen sind. Weil sie thematisch oder sprachlich nicht so ausgeformt waren. Oder diese Softporno-Geschichten, wie Fifty Shades Of Grey, die von den Möglichkeiten des Self-Publishing massiv profitierten und dann aufgrund ihrer Erfolge und ihrer bereits im Netz gefundenen Leserschaft zum Teil von renommierten Verlagen wieder in Buchform zurückgeholt wurden.

 

PS: Quasi die so genannte ‚Unterhaltungsliteratur‘.

 

Sabine Scholl: Ja, man kann das vielleicht so nennen. Aber die so genannte gut Geschriebene, gut Erzählte oder seriös Recherchierte oder wie auch immer …

 

PS: Ist schon schwierig.

 

Sabine Scholl: Sehr schwierig, das in kürzester Form zu fassen. Ich habe tatsächlich bereits den Ausdruck Literatur-Literatur gehört. Literatur also, der das Ästhetische wichtig ist, die avancierte Themen und Absichten verfolgt. Davon gab’s im Netz bis vor kurzem wenig. Die Idee zu Fiktion war: Warum nicht dieses Medium nutzen? Warum komplizierte Texte nicht zugänglich machen? Sogar kostenlos. Wenn wir einen Sponsor finden, oder andere Formen der Finanzierung wie Genossenschaften? Jetzt ist es mal nur ein Versuch, das aufzuziehen, um zu sehen: Was sind die Minimalanforderungen?

 

PS: Und wie hat sich dieser Versuch jetzt finanziert?

 

Sabine Scholl: Das Projekt wird von der Bundeskulturstiftung finanziert.

 

PS: In welchem Ausmaß? Wer ist bezahlt worden?

 

Sabine Scholl: Die beiden Projektleiter Ingo Niermann und Mathias Gatza und die Kulturmanagerin Henriette Gallus.

 

PS: Nur die drei sind bezahlt worden?

 

Sabine Scholl: Die Programmierer und die Übersetzer wurden für ihre Arbeit auch bezahlt.

 

PS: Das heißt, alle anderen haben das ehrenamtlich gemacht?

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Die Autor_innen auch?

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Also es kriegt sonst niemand was dafür?

 

Sabine Scholl: Nein. Das ist jetzt die Testphase. Noch keine Phase, in der sich das Projekt selbst trägt.

 

PS: Auf der Website steht Englisch–Deutsch–Englisch.

 

Sabine Scholl: Die Absicht war auch, die Internationalität des Netzes zu nutzen, indem Texte auf Englisch verfügbar sind, bzw. englische Texte auf Deutsch.

 

PS: Diese internationale Ebene und dass es keinen gängigen Marktkriterien entsprechen soll.

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Und wie äußert sich das?

 

Sabine Scholl: Fiktion will nicht Außenseitertexte suchen, sondern es gibt im Gegenteil viele interessante Texte, die sich – sagen wir einmal so – ein renommierter Verlag nicht zu veröffentlichen traut. Also Literatur, die noch nicht gelabelt ist oder negativ gelabelt und keinem Trend entspricht, den man zu erkennen glaubt. Wenn man überhaupt von so etwas wie Trend sprechen kann, aber ich denke, es bilden sich Übereinkünfte heraus, was geht und was nicht. Und Zahlen, Verkäufe, Auflagen sind heute wichtiger denn je.

 

PS: Okay.

 

Sabine Scholl: Solche Literatur wird bei Fiktion veröffentlicht und in einer zweiten Sprache zugänglich gemacht. Weil sich auch ein Autor, der es geschafft hat, im deutschsprachigen Raum zu veröffentlichen, verglichen mit dem englischsprachigen Markt in einem beschränkten Raum bewegt. Der Prozentsatz der Übersetzungen vom Deutschen ins Englische ist minimal – ich glaube zwei bis drei Prozent –, während umgekehrt bis zu achtzig Prozent aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt werden. Und oft funktioniert ein deutschsprachiges Buch dort nur, wenn eine Übersetzerin sich dafür einsetzt, gut vernetzt ist, dauernd dafür trommelt. So ist zum Beispiel jetzt Jenny Erpenbeck auf einer Liste der wichtigsten übersetzten Werke und wird als prominente deutsche Autorin in den USA wahrgenommen, von Literaturwissenschaftlern rezipiert, das ist vor allem ein Verdienst ihrer Übersetzerin Susan Bernofsky.

 

PS: Das wäre quasi das Interesse für eine Autorin oder einen Autor, bei Fiktion zu veröffentlichen.

 

Sabine Scholl: Jaja, absolut.

 

PS: Es würde kein Geld rausspringen bei der Veröffentlichung.

 

Sabine Scholl: Nein.

 

PS: Sondern, eigentlich ist das Interesse – wenn ich es in meinem Verständnis runterbreche –, über diese Veröffentlichung wieder zu einem Verlag zu kommen, bei dem man dann doch Geld verdienen könnte?

 

Sabine Scholl: Das könnte sich vielleicht ergeben.

 

PS: Naja, also was wäre denn sonst der Anreiz?

 

Sabine Scholl: Der Anreiz wäre das Teilen der Inhalte. Es wäre diese ursprüngliche Netzidee, dass man Wissen und Texte nicht verkauft, sondern teilt.

 

PS: Ich finde das eine sehr schöne Idee. Aber ich versuche auch noch herauszufinden, wenn man jetzt wieder auf das Ökonomische schaut, also darauf, dass ja auch Autorinnen und Autoren ihre Existenz sichern müssen…

 

Sabine Scholl: Mhm, ja.

 

PS: … wie rechnet sich das dann runter? Jenseits des Teilens. Wenn man das Bedürfnis hat von der Arbeit, die man da reingesteckt hat, vielleicht irgendwie auch leben zu können?

 

Sabine Scholl: Dazu muss gesagt werden, dass ohnehin fast niemand davon leben kann. Auch wenn ein Autor in Buchform veröffentlicht, wird allein darüber relativ wenig Geld verdient. Autoren kommen zu Geld über Stipendien, wenige durch Preise, sie werden für Lesungen und Präsentationen bezahlt, für das Schreiben von Zeitungsartikeln – wobei das nicht bedeuten muss, dass ein Autor auf diese Weise schon überleben kann. Oder Autoren unterrichten, wobei Lehraufträge an Unis so gering bezahlt werden, dass sie eher unter karitative Akte fallen. Viele Autoren werden von den Eltern unterstützt, haben geerbt oder einen Partner, der verdient, oder sie haben einen Brotberuf. Deshalb ist das Finanzielle nicht unbedingt ein Argument, das gegen eine Veröffentlichung bei Fiktion spricht. Du könntest z. B. mit dem Frühjahrsprogramm von Fiktion eine Tour zu verschiedenen Goethe-Instituten machen, weil die Bücher eben auch ins Englische übersetzt sind, und dafür gibt es Honorar. Zu vielen Veranstaltungen weltweit wird ja von Institutionen oder Universitäten oft nur eingeladen, wer eine englischsprachige Übersetzung vorweisen kann.

 

PS: Das wäre die Werbung für Fiktion.

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Auf der Website steht auch, dass man nach Manuskripten sucht.

 

Sabine Scholl: Mhm.

 

PS: Wie denn das?

 

Sabine Scholl: Man schickt den Text an die angegebene Mailadresse.

 

PS: Und da wird jedes Manuskript angeschaut?

 

Sabine Scholl: Anscheinend, ja. Mhm.

 

PS: Während einer oder einem immer wieder gesagt wird, dass das Schicken des eigenen Manuskriptes an einen Verlag eher …

 

Sabine Scholl: Genau, mittlerweile gibt es Agenturen. Aber sogar diese vertreten jetzt E-Books von Autoren und handeln Verträge mit E-Book-Verlagen aus.

 

PS: Okay. Es sind ja jetzt die ersten drei Bücher bei Fiktion raus. Das sind drei männliche Autoren. Das fällt sofort auf.

 

Sabine Scholl: Ja, natürlich.

 

PS lacht: Wie kommt das?

 

Sabine Scholl: Ja, weil zwei Männer den Betrieb leiten. Lacht.

 

PS: Okay. So, der emanzipatorische Anspruch endet irgendwie…

 

Sabine Scholl: Ja, endet dann sozusagen in der Praxis.

 

PS: Ah ja.

 

Sabine Scholl: Wie so oft, ja.

 

PS: Aber andererseits, also auf dieser ganzen Liste, ich weiß nicht ob das jetzt Unterstützer_innen oder…

 

Sabine Scholl: Beirat heißt das.

 

PS: Der Beirat, genau. Der ist ja wiederum von Frauen dominiert. Mit Elfriede Jelinek besetzt, wo ich mir denke, dass das wahrscheinlich auch ein bisschen wichtig ist, solche Namen zu haben. Nicht wahr?

 

Sabine Scholl: Absolut, na klar, ja.

 

PS: Also dieser doch sehr von Frauen dominierte Beirat, dem stößt das nicht auf, dass in diesem Projekt, das ja irgendwie versucht, was anders zu machen oder versucht, dem Gängigen eine Alternative entgegenzusetzen, dass dann aber ein recht junger, weißer Deutscher, den ich irgendwie wiedererkannt hab aus einer Ausgabe des poeten, in Fiktion veröffentlicht hat.

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Und okay, man könnte sagen, der eine, also ich hab jetzt … also … lacht. Also es tut mir leid, aber ich kann da nicht …

 

Sabine Scholl: Nein. Das können wir gerne abkürzen. Darauf gibt’s eine ganz einfache Antwort: Leider hat es sich so entwickelt, dass wir als Beirat kaum informiert werden.

 

PS: Ah ja.

 

Sabine Scholl: Ja so ist das. Das ist die Wahrheit.

 

PS: Okay. Erzählen Sie mal.

 

Sabine Scholl: That’s it.

 

PS: That’s it!?

 

Sabine Scholl: Wir haben gemeinsam angefangen, Workshops gemacht – mehrere Schriftsteller, die Ideen sammelten. Und dann irgendwann ist das so – Oops! – in die Hände dieser drei Menschen übergegangen und ich habe keine Infos mehr gekriegt. Gar nichts.

 

PS: Sie hatten auch überhaupt keine Entscheidungsgewalt darüber, wer verlegt wird?

 

Sabine Scholl: Nein.

 

PS: Gar keine?

 

Sabine Scholl: Nein. Wir sind eigentlich nur Staffage. So hab ich’s letztlich empfunden. Nur um zu sagen: ‚Seht mal, was für interessante Leute unser Projekt unterstützen‘. Es war schon sehr enttäuschend für mich.

 

PS lacht: Ja, ich hab mich wirklich sehr gewundert, als ich das auf der Website gesehen hab und dachte mir so… Ich glaub ja nicht an diese Zufälle.

 

Sabine Scholl lacht: Na, und ich hab mich gewundert, jetzt während unseres Gesprächs, wie lange es dauert, bis wir an diesen Punkt kommen. Lacht. Dass ich das zugeben muss, dass das irgendwie … Dass ich Fiktion als Projekt natürlich interessant finde und auch diesen ganzen Prozess unterstütze, aber dass diese Taktik der Nicht-Information mir einfach ungeheuer auf den Geist geht.

 

PS: Okay. Frau Scholl, reden wir einfach über was anderes, was anscheinend wirklich interessanter ist.

 

Sabine Scholl lacht: Okay.

 

PS: Schade. Es war eine kurze Hoffnung, die aufflackerte und gleich wieder erlosch. Als ich auf die Autorenliste geklickt hab und mir dachte: Warum? Warum ist das so? Und natürlich ist mir auch aufgefallen, wer die zwei obersten Namen waren.

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Aber egal. Also in diesem Literatursystem – warum ist das so? Nein. Reden wir nicht darüber, warum das so ist, weil wir uns wahrscheinlich eh zu einig sind. Was wären die Möglichkeiten, real, praktisch, pragmatisch, daran zu rütteln?

 

Sabine Scholl: Also jetzt im großen Stil?

 

PS: Auf den verschiedensten Ebenen. Wir können uns eine herauspicken.

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Wir können z.B. wirklich auf diese Schriftsteller_innen-Ebene schauen. Diese Konkurrenz, die irgendwie an den Roots beginnt und sich ja einfach ausbreitet, ist einer der Kernpunkte, warum ständig dasselbe reproduziert werden kann, auch wenn Neues versucht wird.

 

Sabine Scholl: Mhm. Ja, also auf Schriftstellerinnen-Ebene kann ich nur aus meiner Erfahrung berichten. Als ich in diesen Betrieb kam, wurde ich doch stark als Frau wahrgenommen. Eben als Frau-Frau und nicht nur als Schriftstellerin. Lacht. Also wie man so aussieht und wie man wirkt und ob man fuckable ist. Das war alles wichtig. Nicht, dass das jeder ausgesprochen hat. Aber das war einfach so. Und konsequenterweise habe ich Anregungen für mein Denken und Schreiben vor allem von Schriftstellerinnen erfahren, mit denen ich befreundet oder bekannt war. Aber diese Beziehungen waren auch nie so, dass man sagt: Okay, wir gründen jetzt eine Bande und helfen uns gegenseitig.

 

PS: Warum?

 

Sabine Scholl: Ja, das war einfach überhaupt… es gab nichts.

 

PS: Männer haben diese Netzwerke seit Hunderten von Jahren.

 

Sabine Scholl: Ich weiß.

 

PS: Warum ist das nicht passiert?

 

Sabine Scholl: Jede dieser Frauen – sie waren ja älter als ich – hat eine Zeit lang versucht, sich zu organisieren, ist aber nicht weit damit gekommen. Viele sind in diesen Paar-Geschichten hängen geblieben. Also er Schriftsteller, sie Schriftstellerin. Dort hat man sich dann zumindest irgendwie psychologisch unterstützt. Aber die männlichen Künstler- oder Schriftstellergruppen, in denen ich mich bewegt habe, wären nie auf die Idee gekommen, mich zu fördern. Überhaupt nicht. Es war eher umgekehrt, man durfte bewundern und zuhören und manchmal gab es auch ein kleines Kompliment, ‚Ja, der war gut, der Text‘. Und Frauen-Initiativen gab’s immer wieder so spontan. Man sitzt im Hotel nach dem Symposium zusammen, zu fünft. Ein Typ kommt rein und sagt: ‚Ja, was ist denn da los? Was habt ihr für eine Verschwörung?‘ Und daraufhin die Idee: Ja, okay, wir machen jetzt was zusammen. Und dann veranstaltest du halt ein Symposium, gibst einen Sammelband heraus. Es war immer eher peripher. Du dockst irgendwie an mit jemandem oder mit einigen aber dann zerfleddert sich wieder alles, weil die jetzt das Stipendium dort hat, oder die den Auslandsaufenthalt soundso. Oder man zerstreitet sich, das gibt’s auch. Dass man sich eine Zeit lang stützt und dann kommt irgendwas dazwischen. Ich muss ehrlich sagen, oft sind es psychische Probleme, Paranoia, Borderline, Narzissmus. Und dazu sind viel Alkohol und Drogen im Spiel. Nicht gerade Faktoren für Beständigkeit.

 

PS: Der wäre jetzt geschlechtsunabhängig, dieser Faktor?

 

Sabine Scholl: Ja. Aber das erschwert unter Frauen anscheinend eine beständige Kommunikation. Ich weiß nicht. Mir ist das ja auch passiert und ich hab Geschichten von Kolleginnen erfahren, von intensivem Austausch, Briefwechsel, gegenseitigen Manuskript-Besprechungen, gemeinsamen Projekten, Reisen und dann gibt’s irgendwas – tschak!, und dann Distanz oder gar Feindschaft. Aber ich habe nicht aufgegeben – ich versuche es ja immer wieder.

 

PS: Es ist dann so ein Einzelkämpferinnen-Ding.

 

Sabine Scholl: Absolut. Andererseits existiert in Berlin jetzt eine Frauengruppe, die hauptsächlich aus Wissenschaftlerinnen besteht, die sich unterstützen, um sich besser zu positionieren. Dann gibt’s den FAZ-Blog, der von Frauen geleitet wird. Da schreibe ich jetzt auch dafür. Der Kampf darum scheint ziemlich hart gewesen zu sein. Dazu brauchst du wirklich Frauen, die sich nichts sagen lassen und die auf die Pauke hauen. Zum Beispiel kam es mit dem Online-Chef zu einem Gespräch, in dem er meinte, sie könnten nicht mehr so viele Autorinnen aufnehmen und müssten Honorare reduzieren. Aber in der Redaktion sitzt auch eine Kulturmanagerin, die hat dann gesagt: Ne. Sie sind Geschäftsmann, ich bin auch Geschäftsfrau. Ich weiß, dass Sie jetzt bluffen. Die kannte die Spielregeln. Er musste das tatsächlich zugeben. Und sowas hast du als Autorin nicht selbstverständlich drauf. Da müsstest du die ganze Zeit dein eigener Agent sein. Daran scheitert es oft. Dass du diese ganze Businesstaktik nicht drauf hast.

 

PS: Man kann sagen, dass es heute anders ist als noch vor hundert Jahren. Aber trotzdem ist es interessant zu beobachten: Es gibt nicht so etwas wie ein Gleichgewicht, oder einen Ausgleich.

 

Sabine Scholl: Mhm.

 

PS: Oder würden Sie sagen, das ist heute ausgeglichen?

 

Sabine Scholl: Das ist sehr schwierig. Weil es unter den Büchern, die von Frauen veröffentlicht werden, eine starke Kategorisierung gibt, die von den Verlagen ausgeht.

 

PS: Und dann gibt es noch eine andere Ebene, auf der Literatur behandelt wird. Und das ist diese Kanon-Ebene.

 

Sabine Scholl: Kanon ist ja etwas, das total abgesichert ist und in die Vergangenheit zielt.

 

PS: Ist das so?

 

Sabine Scholl: Für mich ist Kanon eher etwas akademisch Abgesichertes. Weniger etwas, das im Feuilleton von der Literaturkritik, von den wichtigen Zeitungen wahrgenommen wird. Das würde ich nicht ‚Kanon‘ nennen. Ich weiß gar nicht, wie man das nennt. Trend? Etwas, worauf sich die Entscheidungsträger geeinigt haben. So wie man sich in den Neunziger Jahren einig war, dass deutsche Autoren jetzt unbedingt so wie die Amerikaner erzählen müssen. Und alle haben wie wild wie die Amerikaner erzählt. Dann wurde das langweilig. Zurzeit darf man wieder mit interessanteren Formen arbeiten, weil in der ZEIT plötzlich stand: Schluss jetzt mit diesen perfekten Erzählungen und Roberto Bolaño ist ab nun der Allerbeste. Also ausprobieren, experimentieren und avantgardistischere Formen mitbedenken. Das Pendel schlägt mal so, mal so aus, je nachdem, wie die Kritiker befinden.

 

PS: Meinen Sie, dass die immer noch so bestimmend sind?

 

Sabine Scholl: Ja, total.

 

PS: Und haben Sie festgestellt, dass es zu einer Verschiebung kommt, dass es eigentlich zunehmend wichtiger ist, WER was schreibt, als WAS jemand schreibt? Wann hat das so eingesetzt, Ihrer Meinung nach?

 

Sabine Scholl: In den Neunziger Jahren wurde viel aussortiert.

 

PS: Wie, aussortiert?

 

Sabine Scholl: Naja, der Verlag hat das nächste Buch nicht mehr produziert. Die Autoren hatten bereits vier, fünf Bücher z. B. bei Rowohlt veröffentlicht, denn als sie anfingen, waren experimentellere Formen noch genehmer. Dann wurde beschlossen: ‚Ne, da wird zu wenig verkauft‘, und die Autoren bekamen keine Verträge mehr.

 

PS: Ja aber da sind wir jetzt wieder bei dem, was wer schreibt.

 

Sabine Scholl: Das meine ich. Dass damit eine Konzentration auf einzelne Personen, die einen Stil repräsentierten, erfolgte.

 

PS: Okay. Aber was ich gemeint habe, waren die Autoren und Autorinnen im Hinblick auf ihre persönliche Geschichte.

 

Sabine Scholl: Ach so.

 

PS: Also, dass es eine Tendenz gibt, dass es wichtig ist, was die Autorinnen oder Autoren als Personen repräsentieren und erst in zweiter Instanz, was sie schreiben. Und vielleicht hängt das ja auch mit einem zunehmenden Fokus auf Realismus und Authentizität zusammen …

 

Sabine Scholl: Mhm.

 

PS: … der irgendwie sehr gehyped wird. Der auch an den Instituten sehr gehyped wird. Dieser Realismus und diese Authentizität verlinken sich nahezu automatisch mit der Lebensrealität oder der Geschichte der jeweiligen Person, die das schreibt.

 

Sabine Scholl: Mhm. Ich denke oft darüber nach, warum zurzeit das Memoir so eine große Sache ist. Das hat plötzlich angefangen, vor drei, vier Jahren, vorher gab es das kaum im deutschen Sprachraum.

 

PS: Das Memoir?

 

Sabine Scholl: Ja, der neue Hype.

 

PS: Was meinen Sie genau mit ‚Memoir‘?

 

Sabine Scholl: Also du nimmst als Autor ein Stück oder einen Aspekt deiner Lebensgeschichte, der zwar mit dir zu tun hat, aber wo du auch einen allgemeinen Strang, eine Botschaft daraus destillieren kannst und stellst dies in stilistisch interessanter Art und Weise dar, wie z.B. das Buch ‚Nüchtern‘, in dem der Autor seine Alkoholsucht schildert, und wie das Trinken sozial verankert, wie es seine Identität begründete, wie er sich davon befreite. Ein Memoir hat etwas von einem Ratgeber, vermittelt durch eine echte Person und wirkt daher stark identifikatorisch.

 

PS: Und würden Sie sagen, dass der Trend genau dahin geht?

 

Sabine Scholl: Ja.

 

PS: Warum?

 

Sabine Scholl: Eine Kollegin hat vor längeren Jahren einmal bemerkt: Der Literatur wurde so viel weggenommen. Politik wird längst in anderen Medien verhandelt. Psychologie wird mittlerweile Ratgebern überlassen. Die christliche Religion wird in Esoterik verwandelt, und so weiter. Der pralle Neunzehntes-Jahrhundert-Roman hatte das alles noch drinnen und die Menschen haben ihn gelesen, weil er verschiedene Ebenen vermittelte. Und nun regieren Spezialisierungen. Am Buchmarkt und unter Schreibenden.

 

PS: Wir müssen jetzt aufhören, nicht? Sie müssen zum Bus.

 

Sabine Scholl: Ja. Leider. Wegen des Bahnstreiks.

 

PS: Das ist okay. Vielen Dank.


Sabine Scholl war Redaktionsmitglied von barracuda (linke Zeitung), idewe (Schülerzeitung) und schrieb Texte für die AUF (feministische Zeitschrift).
1988 schrieb sie eine Reportage über die Dörferzerstörung in Siebenbürgen. Sabine Scholl war Anhängerin der “schwarzen botin” (Wien / Berlin / Paris) und beschäftigt sich Zeit ihres Lebens mit transnationalen Phänomenen und Literatur zwischen den Sprachen und Kulturen.

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